Der Mauschelkaiser:
Wie Deutschland die WM 2006 gewann
Am Vorabend der Entscheidung
schien alles klar: Mit deutlicher Mehrheit würde Südafrika die
Ausrichtuing der WM 2006 übertragen bekommen.
Der Kaiser sprach
von Mauschelei, denn Brasilien hatte 'zugunsten von Südafrika'
seine sowieso chancenlose Bewerbung zurückgezogen.
In der Erwartung,
daß dies einer eigenen Bewerbung 2010 nützlich sein könne.
2010 wäre, wenn Afrika die WM 2006 bekommen hätte, Südamerika
eigentlich als ausrichtender Kontinent überfällig gewesen.
Die Stimmen wären
in späteren Wahlgängen allerdings sowieso an Südafrika gegangen.
Brasilien wollte sich mit dem voreiligen (oder vielmehr dem der Qualität
der Bewerbung nach viel zu späten) Rückzug vor allem taktische
Vorteile für eine Bewerbung 2010 sichern.
Asien, daß
selbst für die WM 2002 davon profitiert hatte, daß es eine Art
Common Agreement darüber gab, daß die anderen Kontinente die
WM nun auch einmal bekommen sollten, schien mehrheitlich für Afrika
stimmen zu wollen. Schließlich hatte man bei der damaligen Entscheidungsfindung
davon profitiert, daß weder Südamerika noch vor allem Afrika
Gegenkandidaten zu Korea und Japan aufgestellt hatte.
Marokko, dem 1994
die reichen aber fussballuninteressierten USA und 1998 die über Funktionärsfreundschaften
beliebten Franzosen vorgezogen worden waren, hatte beispielsweise nur für
die WM 2002 keine Kandidatur eingereicht.
Nichts sprach mehr
gegen eine WM in Afrika - außer die Interessen der Europäer.
In Europa herrscht ein ausgeprägtes Demokratieverständnis. Abstimmungen
in den Verbänden werden schon einmal ohne Gegenkandidaten Jahre
im Voraus nach langjähigen Verdiensten festgelegt, Kandidaturen auf
Funktionärsebene ausgedealt. So machte man, zumindest aus deutscher
Sicht, auch ab, daß England die Euro 96 und Deutschland die WM 2006
bekommen sollte. Daß England sich nicht an die Absprache erinnerte,
war kein Anfall von Demokratie sondern nur ein Symptom für das allgemein
übliche Europäische (und nicht nur Europäische) Verständnis
bei großen Gewinnperspektiven Regeln und Absprachen neu zu interpretieren.
Jeder Europäer
hätte einsehen müssen, daß die WM nach Afrika gehört,
vorausgesetzt es gäbe eine konkurrenzfähige Bewerbung. Und die
gab es.
Gerade Europa, der
Kontinent der am meisten von Afrika profitiert hat, wie nicht einmal Afrika
selbst, will nichts abgeben. 2010, ja, da kann man dann die WM, die eigentlich
Südamerika zustünde, den Afrikanern abgeben. Von Europa aus.
(Aber vielleicht ist bis dahin auch die Schere noch weiter auseinandergegangen
und die technischen Anforderungen für Afrika zu hoch?)
Doch geschickt wurde
hinter den Kulissen die europäische Blockabstimmung schon Jahre im
Voraus von Pater Braun organisiert, dem christlichen 'Helfer der Armen'.
Und da die Europäer nun mal stärker repräsentiert sind in
jenem Exekutivkommittee war dies die wichtige Basis eines Votums gegen
Afrika.
Dann sollten alte 'Schulden'
Gewinn bringen. 1994 hatte die USA nur mit einer Stimme Differenz die WM
gegen Marokko gewonnen gehabt. Unter anderem hatte Deutschland dafür
gestimmt. Der Präsident der ozeanischen Konföderation, ein Schotte,
hatte Europa viel zu verdanken, die sich aus machttaktischen Erwägungen
einst für die Etablierung dieser von ihrer Größe her eigentlich
überflüssigen Konföderation (Australien, Neuseeland und
ein paar Pazifikinseln) eingesetzt hatte. Doch die Mauschelei schien nicht
zu klappen.
Genausowenig wie die
'Mauschelei' mit Südafrika nicht geklappt hatte. Der Kaiser konstatierte
zwar, man habe diese zurückgezogen, um eben nicht den Eindruck der
'Mauschelei' zu erwecken, doch der Sachverhalt erscheint ein bischen anders:
Deutschland hatte Südafrika nämlich nicht vorgeschlagen, daß
man selbst sich zurückzieht, sondern das Südafrika sich zurückziehen
solle, um dann 2010 von Deutschland unterstützt zu werden. Eindeutige
Äusserungen aus Südafrika hatten diesen Vorschlag als absurd
klassifiziert.
Über Nacht
vor der Wahl nun setzte man Exekutivkomiteemitglieder ein letztes Mal
unter Druck. Die Macht des europäischen Fussballs ist groß und
der Europäische Fussball kann mit seinen Regeln und seinem Verhalten
mehr Einfluß auf die Entwicklung des Fussballs in Asien, Afrika,
Nordamerika und Ozeanien nehmen, als diese Kontinente selbst. Außerdem
gibt es indirekte wirtschaftliche Verbindungen von (asiatischen) Exekutivkomiteemitgliedern
mit europäischen (Sponsor-)firmen. Diese wiederum sind nicht nur generell
sondern sicher auch für 2002 wichtig.
Vor allem aber war
da noch die alte Geschichte der Wahl zum FIFA-Präsidenten 1998.
Der in Europa ausgedealte Nachfolger UEFA-Präsident Johannson war
in einer echten Kampfabstimmung mit allen bekannten Mauscheleien und Deals
dem Europa nicht bevorzugenden Blatter unterlegen. Für diesen beinahe
demokratischen Anfall hatten die Europäer Rache geschworen. Denn Europa
wird repräsentiert von einer eng befreundeten und Johannson beinhaltenden
Funktionärsclique.
Asien wiederum streitete
mit der FIFA 1999 um die Anzahl der ihm für 2002 zustehenden WM-Plätze.
Beobachter vermuten jetzt daß das Europafreundliche und mächtige
koreanische Exekutivkomiteemitglied von Europa und Asien gemeinsam unterstützter
Gegenkandidat zu Blatter bei der nächsten Präsidentenwahl werden
könne. Nocheinmal ein Präsident wie Blatter gegen den Willen
Europas? Undenkbar!
Die wirtschaftlichen
Interessen nicht nur hinter einer solchen WM sondern auch hinter den
zukünftigen FIFA-Entscheidungen sind immens. Allen voran die Medienverträge.
Kirch's riesige Investitionen könnten auf den (europäischen Klub-)
Fussball zurückfließen, kann über ein Großereignis
der Pay-TV Dekoder auch für zukünftige Per-per-view Generationen
in allen Wohnzimmern installiert werden. Oder wird das Internet hier das
Dekoderfernsehen überholen?
Oder soll der Fussball
wie in den USA der Football für alle frei zugängig bleiben und
so auch den einzigartigen direkten Zugang der Sponsoren zu den Konsumenten
weiter in dieser Breite aufrechterhalten?
Die Exekutivkomiteeabstimmung
über die Vergabe der WM 2006 wurde so über Nacht wahrscheinlich
zur Anti-Afrika und Anti-Blatter Wahl und zur neu eröffneten Gewinnkooperation
Europa-Asien. (Aber auch andere Varianten sind nicht gänzlich auszuschließen).
Doch es fehlte noch
eine Stimme. Die des Neuseeländers Dempsey. Alle 21 hatten dies
erkannt und begannen nun Druck auf Dempsey auszuüben. Sogar Tony Blair
und Nelson Mandela riefen ihn an. Und ein nichtgenannter UEAF-Funktionär
der ihm klar machte, daß es aus sei mit der Ozeanischen konfösderation,
sollte er für Südafrika stimmen.
Dempsey, der den Auftrag
seiner Konföderation hatte, zuerst für England 'die haben uns
mal 50 Bälle geschenkt'), und dann für Südafrika zu stimmen,
kam zu dem Schluß, das eine Enthaltung die beste Flucht aus der Misere
sei. Und wurde so zum willkommenden Sündenbock, der den eigentlichen
Skandal, die antiafrikanische Kooperation des Finanzkapitals in den Hintergrund
drängte.
Dempsey selbst gab
an, daß sich starke Verschiebungen über Nacht ergeben haben
müßten. Vor der 'Nacht der langen Messer' hätte eine klare
Mehrheit für Südafrika bestanden und er sei sich der Bedeutung
seiner Enthaltung nicht bewußt gewesen.
Den letzten Kick für
seine Entscheidung gab Dempsey nach eigenen Angaben der 'Scherzbrief' des
Satiremagazins Titanic der einen plumpen und amateurhaften Bestechungsversuch
aus Deutschland vortäuschen sollte und mitten in der Nacht unter Dempseys
(und anderen) Tür(en) hindurchgeschoben worden war.
Auf ungewollte Weise
verdeutlichte diese Aktion den (von außen mitunter so empfundenen)
Europäischen (Post-)Kolonialanspruch und Rassissmus:
Liest man afrikanische Foren
und Kommentare, ist die Wut groß und ein Wort spielt eine zentrale
Rolle: 'Ignorance'.
Der Brief konnte die deutsche
Bewerbung natürlich kaum diskreditieren, da er offensichtlich plump
war. Er konnte, falls überhaupt ernst genommen, schon eher ein schlechtes
Licht auf andere werfen, da genausogut eben ein Versuch, die deutsche Bewerbung
damit zu diskreditieren, dahinter vermutet werden konnte.
Was aber eine viel wichtigere
Rolle spielt, ist die sich dahinter verbergende Einstellung zu dieser Entscheidung,
die von Mitgliedern unterschiedlichster Kulturen getroffen wurde und auch
unterschiedlichste Kulturen betrifft:
Eine solche Aktion
überträgt das europäische Kultur- und Satireverständnis,
(also das Verständnis einer zahlenmäßigen Minderheit),
mit den Mitteln der überlegenen die Welt bestimmenden Medien, als
maßgebend auf die Weltebene.
Für Deutschland
war die Vergabe der WM 2006 tatsächlich nichts weiter als ein Stück
Sahnetorte extra, daß es zu verteilen galt, für die Afrikaner
möglicherweise das einzige, was sie jemals hätten anfassen dürfen.
Eine ungleich bedeutsamere Angelegenheit. In Südafrika waren überall
Parties organisiert, in Deutschland hupte nicht einmal jemand.
Mit einem Scherz auf
Kosten eines Kontinents sich zu profilieren war von Anfang an das Risiko
einer solchen Aktion. Das es möglicherweise den Ausschlag gegeben
hat, ist genauso fatal wie entlarvend. Es ist einfach dekadent. Denn davon
auszugehen, der Scherz würde im Europäischen Sinne verstanden
ist einfach - 'ignorant'
Wird man jetzt die
Mauern höher ziehen müssen? Denn man braucht sich nicht zu wundern,
wenn Afrikaner in ihrem Kontinent keine Zukunft sehen. Ihre Fussballer
dürfen kommen. Ihre Fans müssen draussen bleiben?
Oder wird alles
nur um 4 Jahre verzögert? Europa steht jetzt in einer Art imaginären
Schuld. Der afrikanische Kontinentalverband, nicht ungeschickt, hat sofort
einen Abstimmungsvorschlag eingereicht, wonach eine kontinentale Rotation
für die Zukunft festgeschrieben werden soll. Normalerweise müßten
alle FIFA- und FIFA-Exekutivkomiteemitglieder dafür sein, außer
eigentlich den Europäern. Die wiederum stehen jetzt in der Pflicht.
Man darf gespannt sein. Auf Ausarbeitung und Abstimmungsergebnis...
[ nächste
Woche mehr ] [ zurück nach
oben ]
|